© M. Balkow

Sauerland Seelenort

Sauerland Seelenorte, das sind Orte, zu denen Menschen wandern und wo sie abschalten können. Das sind Felsen und Steinbrüche, Kirchen und Bergkuppen, mächtige Bäume und unterirdische Grotten, Seen und Täler. Entdecke die vier Seelenorte am Diemelsee und lerne das Wandern im Sauerland neu kennen.

„Lebendige Stille, ankommen bei dir…“

Sauerland Seelenorte

Es gibt sie noch, die ganz besonderen Orte, die Aussichten, die uns den Atem rauben. Die speziellen Plätze und Momente, die unsere Sehnsüchte und Träume beflügeln.

Sie berühren die Menschen emotional, geistig und spirituell. Sie rufen starke Resonanzen hervor. Es sind Orte, wo die Menschen abschalten können. Zu sich kommen. Die Ruhe genießen. Inspiriert werden. Neue Einsichten gewinnen.

Auch wenn jeder Seelenort seine eigene Geschichte erzählt, gibt es eine Qualität, die alle verbindet: Lebendige Stille.

Sauerland Seelenorte Diemelsee© Sauerland Wanderdörfer, Klaus-Peter Kappest
Entdecke die Sauerland Seelenorte am Diemelsee

Am Diemelsee sind es der Gipfel des St. Muffert, die Diemelsee Staumauer, die Klosterkirche in Flechtdorf und die Adorfer Klippen. Sie wurden ausgewählt, weil sie besonders beeindruckend sind und für die Menschen in ihrer Umgebung eine besondere Bedeutung besitzen. Nicht nur heute, sondern auch schon zu früheren Zeiten.

Seelenort: Gipfel des St. Muffert

© Sauerland Wanderdörfer, Klaus-Peter Kappest
Sauerland Seelenorte© Sauerland Wanderdörfer, Klaus-Peter Kappest
Gipfelkreuz St. Muffert
© Sauerland Wanderdörfer, Klaus-Peter Kappest

„Eine neue Sicht auf die Dinge“

Felsiger, mit Laubwald und Moos bewachsener Berggipfel mit Blick auf den Diemelsee.

„Ein Gefühl von Ehrfurcht stellt sich ein. Darüber …, wie auf lange Sicht all das Werden und Vergehen seine unbegreifliche Richtigkeit hat.“

Seelenort: Gipfel des St. Muffert
Wanderwege: Panoramaweg oder entlang des Diemelsteigs
Parkplatz: Wanderparkplatz Florenbicke (Seestr., Heringhausen)
Länge: 9,7 km

Erzählpate: Gerd Rosenkranz

Es hat etwas Befreiendes an sich, wenn man oberhalb der Felsen aus dem Wald heraustritt, unter einem das klare Wasser des Sees und über einem das weitgespannte Firmament. Hier ist man dem Himmel und der Schöpfung näher und bekommt einen ungestörten Blick für das Wesentliche.

Autor: Michael Gleich

Eine neue Sicht auf die Dinge

Felsiger, mit Laubwald und Moos bewachsener Berggipfel mit Blick auf den Diemelsee.

Am Fuße der St.-Muffert-Klippe. Bevor wir hinaufkraxeln, stelle ich mir vor, es gäbe eine Seilbahn. So eine mit kleinen Gondeln, wie man sie von Freizeitparks kennt. Vom Ufer des Diemelstausees hinauf zum Gipfel. Unten mit Parkplatz und Imbissbude, oben mit Panorama-Café. Sicher, man hätte entlang der Seile eine Schneise in den schönen Wald schlagen müssen. Aber dafür wäre man in drei Minuten und ohne zu schwitzen nach oben gelangt. Klingt das verlockend? Meine kleine Fantasie hat einen realen Kern, den Plan für eine Seilbahn gab es wirklich mal. Er wurde, Gott sei Dank, verworfen. Nicht nur die Rodungen wären ein Frevel gewesen. Die Luftreisenden hätten sich auch um das Vergnügen einer Wanderung voller Entdeckungen gebracht. Der GeoPark-Führer Gerd Rosenkranz verspricht mir, auf dem Gipfel auch das Geheimnis zu lüften, wie das Sauerland eigentlich entstanden ist.

Der Pfad führt durch einen lichten Wald mit Buchen, Eichen, hier und da eine Esche und eine Hainbuche. „So sieht ein gesunder Bestand aus“, sagt Gerd, „und so wird es in vielen Gegenden des Sauerlands wieder aussehen, wenn sich die Fichten verabschiedet haben, weil sie die zunehmende Trockenheit im Sommer nicht aushalten.“ Wir queren mehrere kleine Quellen, an deren Verlauf sattgrüne Streifen von Bärlauch siedeln. Dort, wo der Hang steiler wird, verändert sich sofort die Szenerie. Die Bäume sind kleiner, verhutzelter, mit Ästen in irrwitzigen Verdrehungen. Sie behaupten sich auf unsicherem Terrain, aber es reicht nur für ein Leben mit bescheidenen Ansprüchen.

Die Wurzeln einer Eiche haben sich direkt in den fast senkrecht stehenden Schiefer gekrallt. Sie finden auch kleinste Spalten, so genannte Störungen, schieben sich hinein, immer auf der Suche nach Halt und nach Wasser. Wer hält hier wen? „Der Fels trägt den Baum“, sagt Gerd, „aber auch die Wurzeln halten den Stein.“ Klingt nach einem fairen Deal. Wir gelangen an eine Stelle, wo der Schiefer fast blank liegt. Wieder ein neues Bild. Wurzeln von Jungbäumchen, die sich hier ansiedeln wollen, werden von den scharfkantigen Steinplatten, die im Jahreslauf nach unten rutschen, einfach abrasiert. Keine Chance, hier alt zu werden.

Nach einer knappen Stunde gelangen wir auf den Gipfel, den eigentlichen Seelenort. Nachdem vorher das Wasser des Diemelsees immer nur kurz bläulich durchs Blattwerk blitzte, können wir ihn jetzt in seiner ganzen, vielarmigen Form sehen, gespeist von den beiden Zuflüssen Diemel und Itter. Mich berührt das Gipfelkreuz in seiner Natürlichkeit, bestehend nur aus zwei rohen Baumstämmen, karge Kraft, so wie der steinige Grund, auf dem es errichtet wurde. In seiner Nähe suchen wir uns einen möglichst sicheren Rastplatz am steil zum Ufer abfallenden Hang, nicht anders als die vereinzelt stehenden Eichen, deren Ausharren unter extremen Bedingungen sich in gewundenen Gestalten verkörpert hat.

Der Blick schweift über die Hügel und Berge unter uns. Mal von Wald bedeckt, mal als Wiesenhänge. Ein Puzzle aus Grüntönen. Bisher dachte ich, die „tausend Berge“ des Sauerlandes seien entstanden, als vor Urzeiten die Kontinentalplatten aneinanderstießen und sich dadurch Gebirge auffalteten. Ja und nein, sagt Gerd. „Die Auffaltungen wurden über Jahrmillionen durch Wind und Wetter wieder eingeebnet. Eine Art Hochfläche entstand.“ Und die ganzen Berge? Gerd deutet hinunter auf den Lauf der Diemel: „Flüsse und Bäche, die waren das. Man sagt ja: Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Das Wasser als Skulpteur hat unterspült, weggeschwemmt, sich hineingefressen und tiefe und breite Kerben in die Ebene geschnitten. Die Berge sind also nur das, was die Erosionskraft des Wassers stehengelassen hat. Getrost könnte man das Sauerland auch „Land der tausend Täler“ nennen.

Wir sitzen noch lange unterm Gipfelkreuz. Werden stiller. Ich lasse unsere Wanderung noch einmal Revue passieren, entlang der Lebenszyklen von Bärlauch und Bäumen; der Gang durch die Erdzeitalter; die langsame Annäherung an den herrlichen Ausblick. Ein Gefühl von Ehrfurcht stellt sich ein. Darüber, wie die Naturkräfte des Erschaffens, Bewahrens und Zerstörens über Jahrmillionen wunderbar ineinandergreifen; wie Chaos und Ordnung zusammen einen endlosen Tanz aufführen, nie Gleichgewicht findend und bald wieder verlierend; wie auf lange Sicht all das Werden und Vergehen seine unbegreifliche Richtigkeit hat.

Und dann kommt mir angesichts des gerade Erlebten noch der Gedanke, was mir alles entgangen wäre – für drei Minuten Höhenschwindel in einer Seilbahn.

Autor: Michael Gleich